Verein
Geschichte des ASV Aachen
 

Kapitel 10 

(das zehnte Lustrum)
2006 - 2010 

 

Ausbildung - Offshore, Inshore und im Wellenbad

Am Anfang stand der Besuch des Theoriekurses. Zweimal pro Woche war die Etage gut gefüllt mit nach Wissen lechzenden Leichtmatrosen. Bei der Vermittlung der Theorie waren wir längst bei der digitalen Präsentation angekommen. Doch am Ende musste immer noch jeder seine Knoten mit der Hand machen. Auch gefunkt wurde regelmäßig auf der Etage. Aber Probieren geht schließlich über Studieren und so ging es für die Azubis schnell aufs Wasser.

Ob in familiärer Atmosphäre in „Binnen-Tutorien“ oder an konkreten Ausbildungswochenenden - es fanden sich immer Ausbilder und Azubis am Rursee ein. Unabhängig vom Wetter war fast jedes Wochenende Praxistraining angesagt. So mancher Externe, der hier am schönen Rursee mal an der Pinne saß und die Atmosphäre genießen konnte, ist bis heute im ASV sitzengeblieben und hat vielleicht längst zum großen Steuerrad gegriffen.

Auf der AG4 fand natürlich der Großteil der praktischen Seesegelausbildung statt. Mehrere, konkret für den Erwerb des Sportküstenschifferscheins zugeschnittene, Seereisen fanden jede Saison statt. Da die AG4 aufgrund der fortgeschrittenen Technik allerdings nicht das ideale Prüfungsboot war, wichen wir vorerst für Prüfungswochenenden auf Charteryachten in Travemünde und am Ijsselmeer aus. Jedes Jahr haben wir so mehr als 20 Fußgängern zur Lizenz zum Üben verholfen. Neben den seglerischen Themen kam auch die Ausbildung in Verproviantierung, schmackhafter Kalorienaufnahme und Abendgestaltung nicht zu kurz. Die Anforderungen an Wachführer und Schiffer sind schließlich hoch.

Das Motorbootfahren beschränkten wir auf Rheinhäfen in Köln oder Düsseldorf. Neben der anerkannten Ausbildung fanden auch interne Seminare statt: vom Vortrag zu aktuellen Segeltuchtechnologien direkt vom Segelmacher, über Spleiß- und Laminierseminare bis hin zu Trimm- und Taktik-Seminaren. Da für einige Hochseeregatten das ISAF Sicherheits-Zertifikat zur Crewqualifikation gehört, begannen wir auch hierfür die geforderten, sehr praxisnahen, Seminare anzubieten. Zu den Highlights zählten sicherlich das Signalmunitionstraining auf dem Truppenübungsplatz und das Rettungsinseltraining im Wellenbad.


ASV Festlichkeiten

In der Natur des Seglers scheint auch immer eine gewisse Feierbegeisterung zu liegen. Neben den unzähligen mehr oder weniger privaten Feiern einzelner Mitglieder fanden regelmäßig Etagenpartys statt. Mehrmals im Jahr konnten wir ASVer und Freunde auf der Etage begrüßen, teilweise sogar mit Livemusik. Leider mussten wir unsere großangelegte Partyreihe „Night of the Sails“ im Westbahnhof aufgrund mangelnden Interesses bis auf Weiteres einstellen. Dafürwurde bei den internen Festen umso mehr gefeiert, nicht immer zur Freude der Nachbarn. Mit der einmaligen Lage unseres Vereinsheims konnte kein anderer Verein mithalten. Denn in der Pontstraße klappte keiner die Bürgersteige hoch. Ob für Crew-Vor- oder Nachtreffen, Feuerzangenbowle oder Rudelgucken von Piratenfilmen und Fremdsportarten: der gut gefüllte Kühlschrank der Bierkasse lud gerne noch auf den letzten Absacker ein.

Unsere Labskausessen genossen wir in festlicher Atmosphäre in der Erholungsgesellschaft. Wie immer war der erste Samstag im Dezember für viele ASVer ein sehr langer und aufregender Tag. Aber wer denkt, wir müssten uns nach diesem Kampftag mit Schiffertreffen, AHV, JHV, Labskausessen und Mitternachtssuppe erstmal für den Rest des Jahres ausruhen, hat sich getäuscht. Kurz vor Weihnachten nahmen wir noch mal die Tatsache, dass alle Boote aus dem Wasser sind, zum Anlass die „Last Ship Home“ Party zu feiern.

Das Stiftungsfest konnte mit dem Umzug ins Heilsteinhaus in Einruhr deutlich an Attraktivität gewinnen und hatte regen Zulauf. Modenschauen zur Vorstellung des umfangreichen Sortiments des Bauchladens sind unvergessen.

 

Neue Bedingungen – neue Herausforderungen

Seit dem Jahr 2007 wurden in Aachen die Studiengänge nach und nach auf das Bachelor/Master-System umgestellt. Das Studium wurde deutlich straffer gestaltet und für die Studenten deutlich zeitintensiver. Dies bekam auch der ASV zu spüren. Es gelang uns zwar, jedes Semester neue Anwärter für den ASV zu begeistern, doch die Freizeit, die der Einzelne noch für den ASV opfern konnte, war deutlich eingeschränkter. Dies schlug sich neben der Winterüberholung von Jollen und Seeschiff auch auf Vorstandsarbeit und das in Angriff nehmen neuer Projekte nieder. Arbeiten mussten effizienter gestaltet und neue Wege gegangen werden. Da der ASV-Bulli Ende 2005 einen Motorschaden erlitt, mussten wir schweren Herzens auf ihn verzichten, da bis dato keine Aussicht auf Finanzierung eines neuen bestand. Aufgrund fehlender Motorisierung waren nicht für jeden ASVer Arbeiten in der Halle Eschweiler möglich. So testeten wir seit einigen Jahren eine günstig anzumietende Halle an der Roermonder Straße. Hier konnten 2-3 Jollen eingestellt werden und Lackierarbeiten auch mal zwischen den Vorlesungen in Angriff genommen werden. Auf der anderen Seite stieg der Mehraufwand für doppelte Werkzeughaltung und Trailerballet.

Auch für die AG4 ging man neue Wege. Die umfangreichen Aufgaben des Seeschiffobmanns mussten auf mehrere Schultern verteilt werden ohne den Überblick zu verlieren. Zur besseren Dokumentation entstanden das AG4-Wiki und ein Projektmanagementsystem.

Unverzichtbar war nach wie vor das Engagement und die Erfahrung vieler im Beruf stehender Inaktiver und Alter Herren, die für Jollen, Seeschiff und Verein viel Freizeit für organisatorische Aufgaben opferten.


Rursee und Jollen – Erholung und Action

Die Boote wurden nicht jünger und der Arbeitsaufwand nahm mit dem Alter eher zu. Deshalb waren wir gerade in diesen Jahren an einer kontinuierlichen Verjüngung des Bootsparks interessiert. Für den Piraten „Casipulami“ wurde ein Laser 2 angeschafft: eine wartungsarme 2-Personen-Schwertjolle mit Trapez und viel Potenzial. Der 470er „Lila Laune“ wurde durch einen deutlich neueren und konkurrenzfähigeren 470er „Selvstarter“ ersetzt. Auch der letzte verbleibende Holzpirat „Pustefix“ musste weichen. Für ihn wurde eine zweite Dyas - „Printa“ – angeschafft, um auch wieder zwei baugleiche Schiffe im Fuhrpark zu haben. Durch eine freundliche Spende wurde Optimist „Moby Dick“ durch Optimist „Stubbi“ ersetzt.

Den Hobie „Plus 3000“ lagerten wir einige Saisons nach Bruinesse, NL und Roermond, NL aus, da die Windverhältnisse hier deutlich besser auf das Boot zugeschnitten waren.

Die „Amme“ war nach wie vor das Schmuckkästchen des ASV. Auch wenn der Wartungsaufwand erheblich war, hat sie die Rangliste für die meisten Segelstunden jede Saison angeführt. Selbst im sportlichen Vergleich war sie immer wieder für vordere Plätze gut. Neben der „Amme“ griffen auch Dyas „Rudolph Rotnase“ und 470er „Selvstarter“ stark ins Regattageschehen am Rursee ein und durften auch mal auswärtige Regattaluft schnuppern.

Unser „Voodoo“ verschwand sogar zweimal für knappe 80 Stunden vom Rursee, um im 500 km entfernten Hamburg auf der Außenalster an einer 24 h Regatta teilzunehmen.

Erhöhten Bekanntheitsgrad am Rursee genoss natürlich auch der KZV „Crashtest“, dessen am Rursee einmaliges Gelb für Reparaturen immer schwieriger zu bekommen war. Für wahrscheinlich deutlich mehr als 100 Interne und Externe führte die Segelausbildung über „Crashtest“ und so war er fast jedes Wochenende unterwegs. Für einige Saisons fand auch nochmal der ASV-Selbstbau-SZV „Salangan“ eine Heimat am Rursee und fungierte als Ausbildungsboot. Sobald sich mehr als eine Handvoll ASVer am immer noch modernsten Steg am Rursee einfanden, war auch der Laser „Kühlschranktür“ schnell aufgeriggt und im Dauergebrauch.


Mit den Jollen auf Tour – Vom Segeln, Campen und Saunen

Die traditionell vorlesungsfreie Exkursionswoche nach Pfingsten nutzte der ASV jedes Jahr für das große Segellager. Für Außenstehende musste es befremdlich wirken, wenn bis zu 60 ASVer aus einer friedlich brachliegenden Campingplatzwiese eine temporäre Regattabasis samt Zeltstadt, Feldküche, Werkstatt und Partyzelt machten. Während die Amme am Rursee die Stellung hielt, suchten wir mit den anderen Jollen nach neuen Herausforderungen in Edam, Elahuizen oder auf dem Schweriner See. Spätestens hier gingen die ersten Bewerbungen für den Blindflansch ein.
Auch das traditionell im Herbst stattfindende Gleitjollenlager erfreute sich kontinuierlich großer Beliebtheit. Dank der deutschen Wiedervereinigung stand meist im Oktober ein verlängertes Wochenende zur Verfügung oder das Semester hatte noch nicht begonnen. Gerade Anwärter hatten die Möglichkeit, alle Boote kennen zu lernen und Einweisungen zu erhalten. Während wir fürs Pfingstsegellager eher die Abwechslung suchten und auch weite Anreisen in Kauf nahmen, griffen wir 2006-2010 fürs Gleitjollenlager auf den Campingplatz de Schotsman am Veerse Meer in den Niederlanden zurück. Die nur durch einen Deich abgetrennte Nordsee lieferte ideale Windbedingungen und so war Dauertrapezen in allen Bootsklassen angesagt. Außerdem war die Ausstattung sämtlicher Bungalows mit einer Sauna inzwischen für viele unverzichtbar. Wenn dann der letzte ASVer vom Wind in die Knie gezwungen wurde, begannen dampfende halbnackte Gestalten in den Vorgärten der Bungalows umherzuwandeln.


Erstes AG4 Winterlager, Großes Testen und Race-Mode

In der Wintersaion 2005/2006 konnten zum ersten Mal Arbeitsstunden an der AG4 gesammelt werden. Auch auf dem Trockenen galt es, sich an andere Dimensionen zu gewöhnen. Wenn die AG4 im „Cradle“ (neudeutsch für Bock) steht, musste man mit der Leiter erstmal 4 Meter Höhenunterschied überwinden, bis man im Cockpit stand. Neben der sehr umfangreichen Bordelektronik incl. Computer erforderte unter anderem der neue Werkstoff CFK viel Einarbeitungszeit. Doch schon im April war die AG4 im Wasser und restlos ausgebucht, teilweise überbucht. Auf der Westerschelde wurden unzählige Einweisungsfahrten unternommen. Danach standen die schon im Vorjahr mit der AG3 bestrittenen Regatten an. Das Vuurschepen Race von Scheveningen nach Harwich konnte prompt als First-Ship-Home und berechnet auf dem zweiten Platz beendet werden. Ein zweites First-Ship-Home auf der Regatta Cuxhaven-Helgoland zur Nordseewoche bewies, dass auch der ASV mit der AG 4 vorne mitsegeln konnte, oder mindestens in den Komfort des frühen Ankommens mit langer Erholungszeit und leeren Duschen kam. Wir sammelten weitere Erfahrungen auf der Regatta Rund Skagen, um uns zur Kieler Woche einzufinden. Hier standen ein Fototermin mit Hubschrauber und der Besuch des ASV Kiel auf dem Programm. Eine Ausbildungsreise führte die AG4 wieder in die Nordsee, wo mit dem Round-Britain and Ireland Race an einer weiteren Langstreckenregatta teilgenommen wurde. 

 

10.000 Meilen durchs Mittelmeer- fast zwei Jahre im warmen Wasser

Nach umfangreicher Planung wollten wir mit der AG4 zum ersten Mal in wärmere Gefilde vorstoßen und das Mittemeer erkunden. Die Überführung begann mit den Cascais Race von Cowes nach Lissabon. Von der 5-tägigen Sturmkreuz wurde noch lange erzählt.
Trotz der großen Emissionsdiskussion in Deutschland lagen die Flugpreise ans Mittelmeer, den Billigfliegern sei Dank, auf absolutem Tiefstpreis und traten gegenüber den Gesamtkosten der Reise stark in den Hintergrund. Dies ermöglichte viele gut besetzte Törns im Mittemeer. Auch für eine kleine Winterüberholung im Wasser direkt vor den Toren von Barcelona wurde eine Crew eingeflogen. Hier gelang es endlich, eine brauchbare Pumpenlösung für die Toilette zu finden, die länger als eine Saison hielt.
Im Frühjahr gelang es uns leider aus Kostengründen nicht, bei den America‘s Cup Vorregatten vor Valencia zuzuschauen, bei dem immerhin zum ersten Mal ein deutsches Boot gemeldet war. Kurz darauf genossen wir jedoch exklusive Regattaatmosphäre bei den vom Real Club Nautico de Palma de Mallorca veranstalteten Palma Vela Races: holzgetäfelte Clubkomplexe mit Liegeplatz direkt vor der Bar und riesige Grillbuffets. Nur blöd, dass wir immer die einzigen waren, die an Bord wohnen „mussten“. Hier trafen wir zum ersten Mal auf die Mittelmeerregattaflotte mit ihren Maxis und Wallys.
Es ging weiter ostwärts über Sardinien, Kreta, Istanbul bis ins Schwarze Meer. An lokaler Infrastruktur bekamen wir im Mittelmeer die komplette Bandbreite geboten: von der EU-unterstützten Mooringtonne für 120 € bis hin zu hervorragenden kostenlosen Sanitäranlagen. Unter dem Stichwort „Segeln“ war die AG4 immer ein verlässlicher Partner. Nur mit der Elektrik haperte es manchmal und so flogen auch schonmal Batterien oder Lichtmaschinen ins Mittelmeer. Nach Reparaturarbeiten auf Kreta wurden weitere griechische Inseln erkundet und Sizilien angesteuert. Neben den landschaftlichen Eindrücken verpasste es der ASV auch nie, die kulinarischen Genüsse der bereisten Länder auszukosten. In der Pantry der AG4 mit großem Herd und Kühlschrank waren dem guten Geschmack kaum Grenzen gesetzt.
Von Sardinien aus schloss man auch die Regattasaison mit dem MiddleSeaRace vor Malta ab, das leider dem Wetter etwas zum Opfer fiel. Unser Winterlager bezogen wir in Port Napoleon bei Marseille.
Im Frühjahr 2008 nahmen wir noch einmal die Palma Vela Races mit, bevor wir zum westlichsten Punkt der Reise aufbrachen. So fanden noch einige Reisen auf den Azoren statt, wo wir uns auch traditionell auf der Hafenmole verewigten bevor es zurück in die Nordsee ging. Von Gibraltar bis Gibraltar war die AG4 10.904 Seemeilen im Mittelmeer unterwegs.


Auch im Norden ist es schön – mit der AG4 bis zum Polarkreis

Im Juli 2008 führte der Seereisenplan die AG4 von den Azoren nach Cork, wo erstmal wieder Regatta angesagt war. Auf die Cork Week folgte unmittelbar die Cowes Week und dann sollten nochmal zwei Langstrecken gesegelt werden. Cowes-Madeira und zurück. Leider führte ein Getriebeschaden kurz vor der Startlinie zum Abbruch der Rennen für die AG4. Nach der Reparatur ließ man die Saison vor Breskens und mit den Ijspegelrennen ausklingen.
Im Mittelmeer war es notwendig geworden, zwecks Fehlersuche tiefer in der Elektroinstallation der AG4 zu forschen. Die Nachforschungen ergaben leider, dass viele Komponenten und Kabelstränge stark austauschbedürftig waren. Bis ins Frühjahr 2010 wurde nach umfangreicher Planung schrittweise das komplette Boot neu verkabelt.
2009 ging es nach den Kanal- und Nordseeregatten in die Ostsee zum Baltic Sprint Cup. Wir zeigten der AG4 mal die ganze Ostsee und ihre Anrainerstaaten. Anschließend standen noch Reisen nach Stockholm und Oslo auf dem Programm. Bei den Wettfahrten der Flensburger Herbstwoche genossen wir die letzten schönen Tage der Segelsaison bevor es zum ersten Mal nach Kiel ins Winterlager ging.
Leider war die Standfast-Werft seit ein paar Jahren vom wirtschaftlichen Niedergang betroffen und die Bedingungen in Breskens inzwischen so schlecht, dass man die deutlich längere Anfahrt nach Kiel in Kauf nahm. Mit Knierim fanden wir eine kompetente Werft, die sich auch unserem regelmäßig auftretenden Dichtigkeitsproblem des Ruderlagers annehmen konnte.
Die Saison 2010 sollte uns noch weiter nach Norden führen. Nordseewoche und Kieler Woche ließ man sich zunächst nicht entgehen. Danach war es Ziel, den Polarkreis zu überqueren. Über Bergen steuerte man Narvik in Norwegen an. Auf dem Weg dorthin gab es die unzähligen norwegischen Fjorde zu erkunden. Im Herbst war dann zum 100 jährigen Jubiläum des ASV in Kiel eingeladen, bevor man nochmal gen Osten nach St. Petersburg startete. Unser Winterlager bezogen wir erneut in Kiel.